Baumveteranen und Archebäume

Wie langlebige Baumarten altern

Die nachfolgenden Sätze behandeln den Alterungsprozess langlebiger Baumarten und sollen einen Eindruck darüber vermitteln, wie Vertreter langlebiger Baumarten wie Eiche, Linde, Eibe oder auch Buche, allgemein altern. Hier werden beispielhaft die bei uns weitverbreiteten Baumarten Buche und Eiche verglichen und eingeordnet. Bezüglich ihrer Langlebigkeit unterscheiden sich Buche und Eiche deutlich. Während für die Stieleiche Lebensalter von vielen hundert bis sogar tausend Jahren und mehr (bei idealen Standortverhältnissen) dokumentiert sind, erreicht die Rotbuche ein natürliches Lebensalter von circa 250 bis 300 Jahren, ausnahmsweise auch 500 Jahre (Dengler, ohne Jahr, https://baum-des-jahres.de/index.php). So gesehen tritt die Eiche erst in jene Lebensphase ein, die als Alterungsphase langlebiger Baumarten angesehen werden kann, wenn die Buche bereits am Ende ihres Lebens steht.

Die Abbildung stammt ursprüglich von Pierre Raimbault und ist entnommen aus:
de Berker, N., de Groot, J.-W., & Fay, N. (2016). Trees – a Lifespan Approach. Wroclaw: Fundacja EkoRozwoju. Sie zeigt den Lebenszyklus langlebiger Baumarten. Erst in der letzten Lebensphase, der Alterungsphase (blauer Rahmen), wird aus einem alten Baum eine Arche für viele – mittlerweile auch sehr seltene – Organismen.

Typischerweise erreichen Bäume zu Beginn ihrer Alterungsphase die größte Ausdehnung ihrer Krone. Gleichzeitig beginnt oft ein Prozess des Holzabbaus im Inneren ihrer Stämme (vgl. Abb. untere Darstellungs-Reihe). Durch Dickenwachstum kompensieren Bäume den Holzabbau in der Regel erfolgreich. Dennoch kann es als Folge überlanger und schwerer Kronenteile und einer schwächer werdenden Anbindung dieser Strukturen an einer dünner werdenden Stammwandung zu Kronenteil-Ausbrüchen kommen – wie bei der Blutbuche des Beitragsbilds geschehen. Verletzungen wie diese charakterisieren die Klasse sogenannter Baumveteranen (eine durch die Jahrhunderte gezeichnete Baumgestalt). Ereignisse, wie z.B. Kronenteil-Ausbrüche, Blitz-Einschläge etc. stehen oft am Anfang des letzten Abschnitts der Baumalterung. In der späten Alterungsphase reifen einzelne Vertreter langlebiger Baumarten zu sogenannten Arche-Bäumen (vgl. Abb. oben Phase 10). In ihrem letzten Lebensabschnitt bieten diese Baumgestalten einer einzigartigen und mittlerweile kaum noch anzutreffenden Lebensgemeinschaft aus Insekten, Pilzen, Pflanzen, Mikroorganismen, Säugetieren und Vögeln, Unterschlupf, welche an uralte Bäume gebunden ist.

Mulmhöhle in einem hohlen Stamm einer etwa 300-jährigen Sommerlinde in einer historischen Burganlage in der Schweiz. Lebensraum des Juchtenkäfers.
Larve, Puppenwiegen und Imago mit Kotpellets: der Juchtenkäfer als Symbol für den Lebensraum „alter Baum“.

Solche Bäume sind für sich genommen ein „majestätischer, hölzerner Lebensraum“ (Fey, 2015). Ihre ursprüngliche, riesige und majestätische Krone haben solche Habitat-Bäume längst verloren. Dafür besitzen sie einen kolossalen, hohlen Stamm, der in seiner Struktur beinahe aufgelöst erscheint und daher nur noch eine verkleinerte Krone tragen kann. Sie finden in unserer Kultur-Landschaft kaum noch Platz. Und auch nicht jeder Baum in seinem letzten Lebensabschnitt ist Lebensraum einer artenreichen Fauna.

Baumveteran: etwa 450-jährige Eiche mit Ausbrüchen und Astungswunden in Niederbayern. Der mächtige Stamm ist komplett hohl.

Gerade innerstädtische Grünanlagen und Parks haben mittlerweile das größte Potenzial, Baumgestalten zu beherbergen, welche seltene Habitat-Strukturen aufweisen und damit das Potential haben, das Überleben sogenannter Urwald-Reliktarten zu sichern, die an (ur-)alte Bäume und deren Lebensraum-spendende Strukturen  gebunden sind (Juillerat & Vögeli, 2006; Wessolly, 2023). Solche Habitatstrukturen sind z.B. Hohlräume, Totholz, abstehende Rindenschuppen, Specht-Höhlen, Fruchtkörper holzabbauender Pilze, sogar der Boden (in welchem die alten Wurzeln wachsen und wieder absterben) und viele andere organische Gebilde an alten Bäumen, von denen prinzipiell auch ein höheres Gefährdungspotenzial für den Menschen und seine Infrastruktur ausgehen kann (Dietz & all, 2015).

Alte Buche mit Zunderschwamm. Potenzial zum Archebaum?

Ein kluges Standort- und Pflegekonzept ist hier essenziell, welches insbesondere die speziellen Lebensraum-Ansprüche alter Bäume berücksichtigt (Fey, 2015) (Juillerat & Vögeli, 2006) (de Berker, de Groot, & Fay, 2016). Nur so kann der Brückenschlag zwischen Erhalt und Förderung der Artenvielfalt einerseits und der Gewährleistung der Verkehrssicherheit andererseits, gelingen.

Linde von Hohenbodman. Etwa 800 bis 1000-jährige Sommerlinde inmitten einer Verkehrsinsel. Eine Archenoah der Artenvielfalt stellt man sich anders vor, oder? Ein gelungenes Konzept zur Förderung der Artenvielfalt und zur Verkehrssicherung auch. Positiv: der eindrucksvolle Baum steht noch heute.

Literatur:

de Berker, N., de Groot, J.-W., & Fay, N. (2016). Trees – a Lifespan Approach. Wroclaw: Fundacja EkoRozwoju.

Fey, N. (2015). Der richtige Umgang mit uralten Bäumen: Archebäume und Baumveteranen. Jahrbuch der Baumpflege (S. 181-197). Braunschweig: Heymarket Media.

Wessolly, Lothar (2023): Baumstatik und Biodiversität. Pro Baum 02/2023

Download-Link:

http://www.simgruppe.de/files/downloads/Baumstatik%20und%20Biodiversitaet%20ProBaum%2002-23%20Wessolly.pdf

Juillerat, L., & Vögeli, M. (2006). Pflege alter Bäume zum Erhalt der Totholzkäfer im Stadtgebiet. Chaumont: Olivier Attinger.